28.06.2022

Finance Business Next

Die zukünftige Nachhaltigkeitsberichtserstattung in Europa

28.06.2022  | Thomas Weber

Hintergrund

„Der europäische Green Deal ist eine Antwort auf die Bewältigung der klima- und umweltbedingten Herausforderungen. Es handelt sich um eine neue Wachstumsstrategie, mit der die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden soll, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist. Darüber hinaus sollen das Naturkapital der EU geschützt, bewahrt und verbessert und die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen vor umweltbedingten Risiken und Auswirkungen geschützt werden. Auch soll der Übergang gerecht und inklusiv sein.“

Mit dieser Mitteilung (COM(2019) 640 final) hatte die EU-Kommission den europäischen Institutionen das neue Arbeitsprogramm 2020 vorgestellt. In diesem Rahmen sagte die Kommission auch zu, eine Überarbeitung der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen vorzuschlagen.

An der bis dahin gültigen Regelung (Richtlinie 2014/95/EU, erstmals wirksam für das Geschäftsjahr 2017, gültig für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern) wurde schon frühzeitig Kritik geäußert. So forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung zu einem nachhaltigen Finanzwesen vom Mai 2018 die Weiterentwicklung der Berichtspflichten. Im Einzelnen wurde geäußert, dass der derzeitige Rechtsrahmen nicht ausreiche, um dem Informationsbedarf der Berichtsadressaten gerecht zu werden. Wenn Informationen bereitgestellt werden, seien diese häufig nicht hinreichend zuverlässig und reichen auch nicht aus, um Unternehmen miteinander zu vergleichen.

Es klafft also eine immer größere Lücke zwischen den von Unternehmen bereitgestellten Nachhaltigkeitsinformationen und dem Bedarf der vorgesehenen Nutzer dieser Informationen. Das gilt unter anderem für Anleger, die nachhaltigkeitsbezogene Risiken nicht ausreichend in ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen können. Aber auch Interessenträger sind dadurch weniger in der Lage, Unternehmen für ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zur Rechenschaft zu ziehen. Und für die Unternehmen selbst ist es problematisch: sie haben oftmals Schwierigkeiten, die Informationen, die sie selbst benötigen, von Lieferanten, Kunden und Unternehmen, in die investiert wird, zu erhalten.

Die EU Kommission hat am 21.04.2021 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD, COM(2021) 189 final) vorgelegt. Ziel ist es, dass Informationen über die Risiken für Unternehmen auf ihr Geschäftsergebnis, ihre Lage und ihren Geschäftsverlauf im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten („Outside-in- Perspektive“) und über die Auswirkungen der Unternehmen selbst auf Mensch und Umwelt („Inside-out-Perspektive“) zur Verfügung stehen. Die bereitgestellten Informationen sollten vergleichbar, zuverlässig und für die Nutzer mittels digitaler Technologien leicht auffindbar und nutzbar sein. Auch ist es Ziel des Vorschlages, den Status von Nachhaltigkeitsinformationen dahingehend zu ändern, dass sie besser mit finanziellen Informationen vergleichbar sind.

 

Wesentliche Inhalte

Für die Ausarbeitung des Vorschlags hat die Kommission die Europäische Beratergruppe für Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group, EFRAG) beauftragt. Mit den ersten Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS), die Ende April 2022 zur Konsultation veröffentlicht wurden, soll präzisiert werden, welche Informationen Unternehmen über alle aufgeführten Nachhaltigkeitsaspekte und Berichterstattungsbereiche bereitstellen sollten. Die Konsultationsentwürfe werden derzeit zusammen mit den jeweiligen nationalen Rechnungslegungs-Standardsetzern in nahezu allen europäischen Ländern vorgestellt und erläutert.

Die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind gegliedert in themenspezifische Standards sowie sektorunabhängige Standards, die allgemeine und übergreifende Informationen beinhalten. Im Einzelnen werden von den Unternehmen Angaben gefordert zu:

  • Umwelt (E = Environmental)

    • ESRS E1: Klimawandel
    • ESRS E2: Verschmutzung
    • ESRS E3: Wasser- und Meeresressourcen
    • ESRS E4: Biodiversität
    • ESRS E5: Kreislaufwirtschaft
  • Soziales (S = Social)

    • ESRS S1: Eigene Belegschaft
    • ESRS S2: Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette
    • ESRS S3: Betroffene Gemeinschaften
    • ESRS S4: Endverbraucher und Konsumenten
  • Unternehmensführung (G = Governance)

    • ESRS G1: Unternehmensführung, Risikomanagement und interne Kontrollen
    • ESRS G2: Geschäftsverhalten (regelkonformes Verhalten)

Für jede dieser ESG Faktoren hat EFRAG zum Teil sehr ausführliche Anforderungen (disclosure requirements) definiert, die in Aufbau und Struktur vergleichbar sind. Umfang und Tiefe der geforderten Darstellungen werden selbst für Unternehmen, die bereits heute freiwillig oder nach CSR-RUG berichten, eine Herausforderung darstellen. Für die Mehrheit der zukünftig betroffenen Unternehmen (> 250 Mitarbeiter, >. 40 Mio. Umsatz, > 20 Mio. Bilanzsumme, zwei dieser drei Kriterien müssen erfüllt sein) wird dies ein enormer Kraftakt, da die Berichtserfordernisse unter Umständen auch eine Überarbeitung der Geschäftsstrategie, des Geschäftsmodells oder interner Prozesse erforderlich machen. Die Veröffentlichung im Lagebericht, die Erweiterung möglicher Berichtsadressaten (von der Shareholder- zur Stakeholder-Orientierung) sowie das Prüfungserfordernis durch einen Wirtschaftsprüfer zwingen zu einem Anspruch an die Berichterstattung, der der finanziellen Berichterstattung entsprechen wird.

 

Ausblick

Das Gesetzgebungsverfahren sieht vor, dass nach der Einigung von Kommission, Parlament und Rat (Trilog-Verhandlungen) und der endgültigen Formulierung der ESRS Standards bis Ende Oktober 2022 die Kommission ihren Vorschlag finalisiert und im Jahr 2023 veröffentlicht. Es ist damit zu rechnen, dass eine erste Berichterstattung im Jahr 2025 für das Geschäftsjahr 2024 zu erfolgen hat. Es ist allen betroffenen Unternehmen zu empfehlen, sich zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit den Inhalten der zukünftigen europäischen Berichtsstandards auseinander zu setzen.

Thomas Weber